Seminar ›Objektorientiertes Wissensmanagement‹
Lars Trebing, 12. 4. 2006
Im Gegensatz zu ›normalem‹ Text ist Hypertext nichtsequentiell aufgebaut; d. h. der Leser bestimmt selbst, was und in welcher Reihenfolge er liest. Hypertext besteht aus beliebig vielen Knoten, die beliebig miteinander verbunden sein können. Bei diesen Knoten kann es sich je nach Implementation um Seiten, seitenähnliche ›Ressourcen‹ oder bestimmte Stellen innerhalb dieser Seiten bzw. Ressourcen handeln; die Verknüpfungen können uni- oder bidirektional sein.
Querverweise in Lexika sind ein bekanntes Beispiel für hypertextähnliche Strukturen.
Im folgenden wird an Hand einiger wichtiger Punkte die Entwicklung von Hypertext seit den 40er Jahren betrachtet.
Vannevar Bush, der im Zweiten Weltkrieg als Vermittler zwischen US-amerikanischer Regierung und Forschung unter anderem die Entwicklung der Atombombe koordinierte, sah bereits in seiner Zeit das Problem der ansteigenden Informationsflut in der Wissenschaft. Als Ansatz für ein neues Betätigungsfeld der Wissenschaft nach dem Krieg veröffentlichte er 1945 seinen Aufsatz »As We May Think«, in dem er die Idee einer Maschine (›Memory Extender‹) vorstellte. Mit deren Hilfe sollte man beliebige Dokumente auf Mikrofilm sammeln und mittels sogenannter associative paths beliebig miteinander verknüpfen können. Diese Maschine wurde nie verwirklicht und wird auch nicht als ›echtes‹ Hypertextsystem eingestuft, gilt jedoch als Vorläufer für spätere Entwicklungen auf diesem Bereich.
Der Soziologe und Philosoph Ted Nelson konzipierte ab 1960 das ›ideale‹ Hypertextsystem und unternahm seither mit wechselnder Unterstützung durch Entwickler und Geldgeber mehrere Versuche, dieses in die Wirklichkeit umzusetzen. In einem sogenannten Dokuversum sollten sämtliche Dokumente dezentral, dauerhaft, unveränderlich und eindeutig adressierbar gespeichert werden. Dadurch würden folgende Funktionen ermöglicht:
In seinem Artikel »The Curse of Xanadu« in der ›Wired‹-Ausgabe von Juni 1995 bezeichnete Gary Wolf dieses Projekt als »the longest-running vaporware project in the history of computing«. Ted Nelson bezeichnete diesen Artikel als faulen und niederträchtigen Angriff und drohte mit einer Verleumdungsklage, von der er aber wohl mittlerweile abgesehen hat.
Ted Nelson prägte unter anderem den Begriff ›Hypertext‹ (1965 veröffentlicht).
Der Macintosh-Pionier Bill Atkinson entwickelte HyperCard eigentlich als graphische Programmierumgebung, die es auch Laien ermöglichte, aus graphisch frei gestalteten Masken (Karten) und HyperTalk-Anweisungen mit geringem Aufwand Anwendungen aller Art zusammenzustellen. Zu den typischen Anwendungsfällen zählten auch Hypertext- und ähnliche Anwendungen; das Computerspiel Myst wurde ursprünglich ebenfalls mit Hilfe von HyperCard entwickelt.
HyperCard war von 1987 bis 1992 kostenlos bei allen Macintosh-Rechnern enthalten und fand dadurch große Verbreitung. In den Folgejahren wurde es allerdings recht stiefmütterlich behandelt; die Weiterentwicklungen beschränkten sich im wesentlichen auf Geschwindigkeitsverbesserungen und die Möglichkeit, mehrere verschiedene Farben einzusetzen. 2004 wurde schließlich der Verkauf der zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alten Version 2.4 eingestellt.
Auf der Grundlage von Nelsons und anderen Ideen entwickelte Tim Berners-Lee während einer halbjährigen Tätigkeit am CERN ein Hypertextsystem, um seinen eigenen Überblick zu erleichtern. Während einer späteren und längerfristigen Anstellung am CERN schlug er 1989 ein weltweites Hypertextsystem vor, für das er 1990 die erste Software (aus Server und Client) schrieb und gleichzeitig die Spezifikation verfeinerte; im August 1991 wurde das Projekt erstmals veröffentlicht.
Im Gegensatz zu den Xanadu-Ideen stützt sich das WWW weitgehend auf bestehende und erprobte Technik, speziell die bis heute üblichen hierarchischen Dateisysteme und TCP/IP. Das WWW besteht aus eindeutig adressierbaren Ressourcen, die oft einer auf dem Server gespeicherten Datei entsprechen; die Adresse der Ressource setzt sich dann zusammen aus der Adresse des Servers und dem Pfad der Datei auf dem Server. WWW-Hypertext wird in HTML codiert (in dem Inhalt, Struktur und teilweise auch Präsentation kombiniert gespeichert sind).
Mit dieser pragmatischen Lösung waren erhebliche Vereinfachungen gegenüber Xanadu verbunden, insbesondere die bidirektionalen Verweise sowie die Versions- und Rechtekontrolle fehlen völlig.
Der Gopher-Dienst wurde Anfang 1991 an der University of Minnesota vorgestellt und war vor allem als Ersatz für die umständlich zu bedienenden FTP-Server vorgesehen. Mit Gopher sind hierarchische Menüstrukturen – auch mit Querverweisen innerhalb des Servers oder zu anderen Servern – schnell aufzubauen und leicht zu warten.
Das erste Wiki-System wurde 1995 vom Programmierer Ward Cunningham erfunden. Es erlaubt jedem beliebigen Benutzer, zu beliebigen Stichworten beliebigen Text in sehr einfacher Syntax zu schreiben bzw. vorhandene Texte zu verändern; um Vandalismusschäden beheben zu können, werden frühere Versionen in begrenztem Umfang bereitgehalten. Die meisten heute verbreiteten Wiki-Systeme ermöglichen Einschränkungen der Schreibrechte und komplexere Versionskontrolle, oft mit unbefristeter Speicherung sämtlicher Zwischenversionen.
Das derzeit größte Wiki-Projekt ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia.
Unter dem seit 1997 belegten Begriff ›Weblog‹ versteht man heute typischerweise ein mit spezieller Software betriebenes Online-Tagebuch, in das eine oder mehrere Personen mehr oder weniger regelmäßig kurze Beiträge zum Tagesgeschehen schreiben. Die neuesten Einträge sind auf einer Übersichtsseite sichtbar; zudem erhält jeder Beitrag einen eigenen, permanenten URI (›Permalink‹) und kann von Lesern wahlweise direkt kommentiert werden oder mit einem Eintrag in dessen eigenes Weblog, das dann automatisch mittels der ›Trackback‹-Funktion eine bidirektionale Verknüpfung zwischen beiden Einträgen herstellt. Weitere übliche Funktionen sind die Zuordnung von Beiträgen zu einer oder mehreren Kategorien sowie die automatische Bereitstellung von maschinenlesbaren Zusammenfassungen der neuesten Beiträge mittels RSS.
Im Laufe der Zeit unternahm Ted Nelson mit wechselnder Unterstützung durch Programmierer und Geldgeber mehrere Versuche, sein System zu verwirklichen; diese Versuche endeten aber stets in unvollständigen Teilimplementationen. Derzeit sind von Project Xanadu zwei Demonstrationsprogramme (kostenlos) erhältlich: das Windows-Programm ›CosmicBook‹, das die Idee der transpointing windows praktisch veranschaulicht, und das in Form eines Linux-Startdisketten-Abbilds angebotene ›ZigZag‹, mit dem man mehrdimensionale Listen interaktiv erforschen kann (als Beispieldatei wird dort ein Teil von Ted Nelsons Stammbaum angeboten). Für die ›nähere Zukunft‹ sind dort seit Anfang 2002 die Dienste ›Permapub‹ und ›Permastore‹ angekündigt, die sich, nach ihrer vorläufigen Beschreibung zu urteilen, im Vergleich zur Xanadu-Idee sehr bescheiden ausnehmen. Ferner wurden 1999 die Xanadu-Teilimplementationen 88.1 und 92.1 unter eine eigene Open-Source-Lizenz gestellt und sind nun als Udanax Green und Udanax Gold erhältlich. Weiterentwicklungen auf dieser Basis sind aber derzeit nicht ersichtlich.
Ted Nelsons Ideen sind aber keineswegs gescheitert – das WWW, das insbesondere während der ›Browserkriege‹ der 90er Jahre kaum noch an Hypertext erinnerte, nähert sich nun in manchen Punkten langsam doch noch der Xanadu-›Utopie‹ an.
Zwei besonders interessante Beispiele für Hypertext im WWW:
Ted Nelson schreibt über das World Wide Web:
The Web is the minimal concession to hypertext that a sequence-and-hierarchy chauvinist could possibly make.
HTML is precisely what we were trying to prevent—ever-breaking links, links going outward only, quotes you can’t follow to their origins, no version management, no rights management.
Die bereits genannten Weblog-Systeme heutiger Machart sowie MediaWiki/Wikipedia sind zwei Beispiele für WWW-basierte Entwicklungen, die diese Mängel teilweise verringern oder beheben:
Einige Offline-Hypertext-Anwendungen sind auch heute noch verbreitet, insbesondere in Hilfesystemen, Nachschlagewerken und Adventure-Computerspielen.
Die größten Probleme mit dem WWW werden durch Unkenntnis bei Inhaltsanbietern oder Benutzern verursacht:
Letzte Änderung: 22. April 2011 · Impressum · Übersicht · Kontakt