Lars Trebing / Verschiedenes / Cory Doctorow über DRM |
Der nachfolgende Text ist eine Übersetzung eines Vortrags über DRM-Technik, den der EFF-Aktivist Cory Doctorow am 17. Juni 2004 am Redmonder Hauptsitz der Microsoft Corporation für deren Forschungsabteilung und andere Interessierte aus dem Unternehmen hielt. Die erste deutsche Übersetzung – deren Verfasser mir nicht bekannt ist – halte ich für nicht besonders gut lesbar; deswegen habe ich hier einen neuen Versuch unternommen. Zudem habe ich die Stellen, die ich für wichtig halte, hervorgehoben, damit man auch etwas verstehen kann, ohne den doch recht langen Text ganz durchzulesen.
Vieles in diesem Text bezieht sich auf das US-amerikanische Rechtssystem und insbesondere das dortige Urheberrecht; dennoch ist er zum großen Teil auch in Europa interessant.
Diese Übersetzung ist im Gegensatz zum Original nicht zur freien Vervielfältigung und Veränderung bestimmt; der wesentliche Grund dafür ist, daß ich allfällige Korrekturen nur hier und nicht an mir unbekannten Kopien vornehmen kann.
Seien Sie gegrüßt, werte Mitpiraten! Arr!
Ich bin heute hier, um mit Ihnen über Urheberrecht, Technik und DRM zu sprechen. Ich arbeite für die Electronic Frontier Foundation, hauptsächlich im Fachgebiet Urheberrecht, und lebe in London. Ich bin kein Rechtsanwalt, sondern eine Art Sprachrohr/Aktivist, der manchmal auch bei Normungsinstituten oder bei den Vereinten Nationen über unsere Themen referiert. Ich bin jeden Monat ungefähr drei Wochen unterwegs, um völlig seltsame Dinge zu tun – zum Beispiel zu Microsoft zu gehen und über DRM zu reden.
Ich führe gewissermaßen ein Doppelleben – ich bin nämlich nebenher Science-Fiction-Schriftsteller. Ich habe also selbst ein Pferd im Rennen, weil ich, seit ich zwölf Jahre alt war, davon träume, vom Schreiben zu leben. Zugegeben: Mein Geschäft mit geistigem Eigentum ist nicht so groß wie Ihres, aber ich versichere Ihnen, daß es für mich ganz genau gleich wichtig ist wie Ihres für Sie.
Wovon ich Sie überzeugen will:
Dieser Vortrag ist eine große Aufgabe für mich. Microsoft hat eine Menge Kapital in DRM-Systeme investiert und viel Zeit damit verbracht, Leute wie Martha Nalebuff, Brian LaMacchia und Peter Biddle in diverse verrauchte Räume zu schicken, um sicherzustellen, daß Microsoft-DRM in der zukünftigen Welt gut ankommt. Ein Unternehmen wie Microsoft ist so wendig wie ein alter Dampfer, und diese Angelegenheit hat soviel Schwung bekommen, daß nur ein rechtzeitiger Kurswechsel in die richtige Richtung größeren Schaden verhindern kann.
Dieser Abschnitt gliedert sich in zwei Teile:
Die Kryptographie (Geheimschrift) dient dazu, Geheimnisse zu bewahren. Am Vorgang der Kryptographie sind drei Parteien beteiligt: der Sender, der Empfänger und der Angreifer (in Wirklichkeit können es auch mehrere Angreifer, Sender und Empfänger sein, aber darauf kommt es hier nicht an. Üblicherweise nennen wir diese drei Parteien Alice, Bob und Carol.
Nehmen wir an, wir befänden uns in der Zeit Cäsars, im gallischen Krieg. Sie müssen Nachrichten mit Ihren Generälen austauschen, und Sie möchten nicht, daß der Feind etwas davon erfährt. Sie können sich darauf verlassen, daß jeder, dem Ihre Nachricht in die Hände fällt, Analphabet ist, aber das ist eine zu gewagte Annahme, um Ihr Reich dafür aufs Spiel zu setzen. Sie können Ihre Nachrichten zuverlässigen Boten anvertrauen, die sie aufessen, falls sie gefangen werden – aber das nützt Ihnen nichts, wenn Brad Pitt und seine Helden in Strumpfhosen ihn mit einem Pfeil aufspießen, bevor er überhaupt merkt, was los ist.
Also verschlüsseln Sie Ihre Nachricht mit einem Verfahren wie ROT-13, bei dem jeder Buchstabe um die Hälfte des Alphabets verschoben wird. Im Usenet wird das immer noch gelegentlich für Dinge benutzt, die nicht sofort lesbar sein sollen: aus A wird N, aus B O, aus C P und so weiter. Zum Entschlüsseln verschiebt man den Buchstaben nochmals um 13 Stellen; somit wird N wieder zu A, O zu B und so weiter.
Aber das ist ziemlich blöd: Sobald jemand hinter Ihr Verschlüsselungsverfahren kommt, ist Ihr Geheimnis kein Geheimnis mehr.
Wenn Sie also Caesar sind, befassen Sie sich intensiv damit, wie Sie die Existenz Ihrer Boten und ihres Transportguts geheimhalten können. Also: Sie sind Augustus und müssen eine Nachricht an Brad schicken, ohne daß Caseus davon erfährt. Sie verschlüsseln die Nachricht mit ROT-13, übergeben es an Diatomaceus – den schnellsten Boten im ganzen Kaiserreich – und schicken ihn in der dunkelsten Stunde der Nacht los, damit niemand etwas bemerkt. Aber Caseus hat überall Spione – sowohl innerhalb Ihrer Garnison als auch entlang der Straßen. Wenn einer davon Diatomaceus erwischt, haben Ihre Gegner die Nachricht, und wenn sie die Verschlüsselung herausfinden, sind Sie geliefert. Die Existenz der Nachricht ist also geheim, ebenso wie die Chiffre und der Chiffretext – das sind viele Geheimnisse. Je mehr Geheimnisse Sie haben, desto unsicherer sind Sie, vor allem wenn Sie eines dieser Geheimnisse mit jemandem teilen. Geteilte Geheimnisse sind eigentlich gar nicht mehr richtig geheim.
Die Zeit vergeht, die Ereignisse nehmen ihren Lauf, und dann erfindet Tesla das Funkgerät, und Marconi gibt sich als der Erfinder aus. Für die Kryptographie ist das einerseits gut, andererseits schlecht: Einerseits kann Ihre Nachricht jetzt überall hinkommen, wo es einen Empfänger und eine Antenne gibt – gut für Ihrer tapfere fünfte Kolonne hinter der Front. Andererseits kann jeder, der über eine Antenne verfügt, die Nachricht mithören – die Existenz der Nachricht kann also nicht mehr geheimgehalten werden. Wenn Adolf eine Nachricht an Berlin sendet, kann er davon ausgehen, daß Churchill mithört.
Aber das ist nicht weiter schlimm, denn jetzt gibt es Rechner – große mechanische Apparate, aber immerhin Rechner. Diese Maschinen dienen dazu, Zahlen umzuordnen, und jetzt entsteht ein ewiger Wettkampf, in dem Wissenschaftler beider Seiten die schlausten Methoden erfinden, um durch Zahlen dargestellten Text so umzustellen, daß die andere Seite ihn nicht entziffern kann. Die Existenz der Nachricht ist also kein Geheimnis mehr, aber das Verschlüsselungsverfahren.
Aber das sind immer noch zu viele Geheimnisse. Wenn Bobby eine von Adolfs Enigma-Maschinen abfängt, kann er Churchill alle notwendigen Informationen geben. Das war zwar gut für Churchill und für uns, aber schlecht für Adolf – und letztendlich ist es schlecht für jeden, der etwas geheimhalten will.
Nun kommen Schlüssel ins Spiel: Ein Verschlüsselungsverfahren, das Schlüssel verwendet, ist sicherer – auch wenn das Verschlüsselungsverfahren und der Chiffretext abgefangen werden, bleibt die Nachricht geheim. Nach dem Krieg wird das in zweifacher Hinsicht wichtig – durch die Erkenntnis, die ich als Schneiers Gesetz bezeichne: »Jeder kann ein so raffiniertes Sicherheitssystem erfinden, daß er keine Möglichkeit findet, es zu knacken.« Die einzige Möglichkeit, herauszufinden, ob Ihr Verschlüsselungsverfahren fehlerhaft ist, besteht darin, es allen schlauen Leuten zu zeigen und sie darum zu bitten, es zu knacken. Ohne diesen Schritt benutzen Sie ihr Verfahren und freuen sich über dessen Sicherheit, während Ihr Angreifer es längst geknackt hat und heimlich kichernd Ihre Nachrichten entschlüsselt.
Im besten Fall gibt es nur ein Geheimnis: den Schlüssel. Mit Public-Key-Kryptographie wird es für Alice und Bob sehr viel einfacher, ihre Nachrichten vor Carol geheimzuhalten – selbst wenn sie sich nie getroffen haben. Solange Alice und Bob ihre privaten Schlüssel geheimhalten, können sie davon ausgehen, daß Carol ihre Nachrichten nicht lesen kann, selbst wenn sie das Verschlüsselungsverfahren und den Chiffretext kennt. Sinnvollerweise sind die Schlüssel auch die kürzesten und einfachsten aller Geheimnisse und lassen sich dadurch umso leichter vor Carol geheimzuhalten. Soweit ist also alles wunderbar.
Wenden wir das Ganze jetzt mal auf DRM an:
Bei DRM ist der Angreifer gleichzeitig der Empfänger. Wir reden also nicht mehr von Alice, Bob und Carol, sondern nur noch von Alice und Bob: Alice verkauft Bob eine DVD und einen DVD-Spieler. Die DVD enthält einen Film – beispielsweise »Fluch der Karibik« –, der mit einem Algorithmus namens Content Scrambling System verschlüsselt ist. Der DVD-Spieler enthält ein CSS-Entschlüsselungsmodul.
Übertragen auf unser bisheriges Modell sieht es also folgendermaßen aus: Das Verschlüsselungsverfahren ist beiden Parteien bekannt. Der Chiffretext (die DVD) befindet sich in Feindeshand. Solange der Schlüssel dem Angreifer nicht bekannt ist, ist alles in Ordnung.
Aber das ist der Haken: Alice will, daß Bob »Fluch der Karibik« von ihr kauft, aber das tut Bob nur, wenn er das CSS-verschlüsselte »Video Object« (VOB) auf seinem DVD-Spieler entschlüsseln kann – sonst kann er die DVD nur als Untersetzer benutzen. Alice muß Bob – dem Angreifer – also den Schlüssel, das Verschlüsselungsverfahren und den Chiffretext aushändigen.
Daß das albern ist, liegt auf der Hand.
Bis ein neues DRM-System geknackt ist, vergehen meistens Minuten, manchmal Tage und selten Monate. Das liegt nicht daran, daß diejenigen, die sie sich ausdenken, blöd sind. Es liegt auch nicht daran, daß diejenigen, die sie knacken, schlau sind. Es liegt nicht einmal daran, daß die Algorithmen fehlerhaft sind. Letztendlich haben alle DRM-Systeme eine gemeinsame Schwachstelle: Sie geben ihren Angreifern den Chiffretext, das Verschlüsselungsverfahren und den Schlüssel mit. In diesem Moment ist das Geheimnis kein Geheimnis mehr.
Vielleicht denken Sie jetzt: »Aber DRM muß doch gar nicht sicher gegen die Angriffe schlauer Angreifer sein, sondern nur gegen die durchschnittlicher Menschen!«
Diese Überlegung ist aus zwei Gründen – einem technischen und einem gesellschaftlichen – falsch. Und dabei sind beide schlecht für die Gesellschaft.
Der technische Grund: Ich muß kein Cracker sein, um Ihr DRM zu umgehen. Ich muß nur wissen, wie man Google, Kazaa oder ein anderes Werkzeug bedient, um den Klartext zu finden, den schlauere Leute für mich entschlüsselt haben.
Vielleicht denken Sie jetzt auch: »Aber NGSCB löst dieses Problem: Wir schließen die Geheimnisse auf der Platine ein und vergießen das Ganze mit Epoxydharz.«
Einige von Ihnen gehören zu den Verfassern des Darknet-Papiers.
Wenn Sie gerade eben einen dieser beiden Gedanken hatten, unterhalten Sie sich bitte einmal mit den Verfassern des Darknet-Papiers. Dieses sagt unter anderem aus, daß DRM aus genau diesem Grund scheitern wird.
Der gesellschaftliche Grund, warum DRM scheitert: Einen ehrlichen Benutzer ehrlich zu halten, ist, als wollte man einen großen Benutzer am Schrumpfen hindern. Die Anbieter von DRM-Systemen sagen, daß ihre Technik darauf ausgelegt ist, gegenüber normalen Benutzern sicher sein, nicht gegenüber organisierten Kriminellen wie den ukrainischen Raubkopierern, die Millionen qualitativ hochwertige Fälschungen herstellen. Sie ist nicht darauf ausgelegt, erfahrenen Studenten standzuhalten. Sie ist nicht darauf ausgelegt, jemanden vom Kopieren abzuhalten, der weiß, wie man seine Windows-Registry manipuliert, im richtigen Moment die Shift-Taste drückt oder eine Suchmaschine benutzt. Die Benutzer, für die DRM letztendlich ein Hindernis darstellt, sind die unerfahrenen, technisch nicht interessierten Benutzer.
Ich erzähle Ihnen jetzt eine wahre Geschichte von einer mir bekannten Benutzerin, die an DRM scheiterte: Sie ist intelligent, hat studiert, und sie hat keine Ahnung von Elektronik. Sie hat drei Kinder. Sie hat ein DVD-Gerät im Wohnzinner und ein altes VHS-Gerät im Kinderzimmer. Eines Tages brachte sie den Kindern die Toy-Story-DVD mit. Das ist eine nennenswerte Investition, und da prinzipiell alles, was die Kinder in ihre Finger bekommen, nach kurzer Zeit marmeladeverschmiert ist, entschied sie sich, die DVD auf eine Videokassette zu überspielen und diese den Kindern zu geben – so könnte sie eine neue Kopie machen, sobald die erste hinüber wäre. Sie verband das DVD-Gerät und den Videorekorder miteinander, drückte am einen auf »Play« und am anderen auf »Record« und wartete.
Bevor ich mit meiner Erzählung fortfahre, bitte ich Sie, kurz innezuhalten und darüber zu staunen: Diese Person versteht fast nichts von technischen Dingen – aber sie war in der Lage, sich auszudenken, wie sie ihre Kabel zusammenstecken müßte, um eine Kopie der DVD auf das Band zu bekommen. Ich vermute, daß jeder in diesem Raum für irgendwelche Verwandten oder Bekannten an der »Front« der technischen Unterstützung tätig ist: Wäre es nicht großartig, wenn alle Nicht-Computerfreaks aus unserem Bekanntenkreis so intelligent wären und so logisch denken könnten?
Ich möchte auch hervorheben, daß das die ideale ehrliche Benutzerin ist: Sie macht keine Kopie für ihre Nachbarn. Sie macht keine Kopie, um sie auf einem Flohmarkt zu verkaufen. Sie kopiert den Film nicht auf ihre Festplatte, um ihn mit DivX zu komprimieren und mit Kazaa weiterzuverbreiten. Sie tut etwas Ehrliches – sie wandelt den Film von einem Format in ein anderes um.
Aber sie scheitert. In jedem VHS-Gerät ist vorgeschriebenerweise ein DRM-System namens Macrovision integriert, das die vertikale Abtastung des Signals durcheinanderbringt und jede auf diese Art hergestellte Kopie unbrauchbar macht. Das Macrovision-System kann mit einem kleinen Zusatzgerät, das für ungefähr zehn Euro bei eBay verkauft wird, umgangen werden. Aber unsere »Rechtsbrecherin« weiß das nicht – sie ist »ehrlich«, technisch unerfahren. Nicht dumm, wohlgemerkt, nur etwas naiv.
Das Darknet-Papier erwähnt diese Möglichkeit; es sagt sogar vorher, was diese Person langfristig tun wird: Sie wird von Kazaa erfahren, und wenn sie das nächste Mal einen Film für ihre Kinder will, wird sie es aus dem Internet herunterladen und für sie auf CD brennen.
Um das so lang wie möglich hinauszuzögern, haben sich unsere Gesetzgeber und die großen Rechteinhaber eine katastrophale Regelung namens Umgehungsverbot ausgedacht.
Dieses Umgehungsverbot funktioniert folgendermaßen: Wenn Sie ein Schloß – also eine Zugriffskontrolle – um ein urheberrechtlich geschütztes Werk legen, ist es verboten, dieses Schloß zu knacken. Es ist auch verboten, ein Werkzeug herzustellen, das dieses Schloß knackt, oder jemandem zu sagen, wie man ein solches Werkzeug herstellen kann. Ein Gericht verurteilte sogar jemanden, der jemand anderem gezeigt hatte, wo man eine solche Anleitung finden kann.
Erinnern Sie sich an Schneiers Gesetz? Jeder kann ein so raffiniertes Sicherheitssystem erfinden, daß er keine Schwachstelle darin erkennt. Die einzige Möglichkeit, solche Schwachstellen zu finden, besteht darin, die Funktionsweise des Systems zu veröffentlichen und um Reaktionen zu beten. Aber wir leben in einer Welt, in der jedes Verschlüsselungsverfahren für urheberrechtlich geschützte Werke von solchen Reaktionen ausgeschlossen ist. Das mußten Edward Felten, Professor an der Princeton University, und seine Mitarbeiter erfahren, als er bei einer akademischen Konferenz ein Papier zu den Mängeln der Secure Digital Initiative – einem von der Plattenindustrie vorgeschlagenen Wasserzeichenmodell – vorschlug. Die RIAA reagierte, indem sie ihm mit einem Gerichtsverfahren drohte, falls er sein Forschungsergebnis veröffentlichen würde. Wir reichten dagegen Klage ein, weil Felten einer von den Leuten ist, an denen sich mächtige Kläger die Zähne ausbeißen können – unangreifbar und ohne Tadel –, und die RIAA gab nach. Felten hatte Glück, aber der nächste wird vielleicht weniger Glück haben.
In der Tat hatte der nächste weniger Glück: Dmitry Skylarov, ein russischer Programmierer, hielt bei einer Hackerkonferenz in Las Vegas einen Vortrag über die Schwachstellen in Adobes E-Book-Verschlüsselungssystem. Das FBI nahm ihn 30 Tage lang in Haft, und als er Einspruch eingelegt hatte und nach Rußland zurückkehrte, warnte das russische Außenministerium alle Forscher Rußlands davor, zu amerikanischen Konferenzen zu reisen, da wir offenbar zu einem der Länder geworden waren, in dem bestimmte Gleichungen verboten sind.
Das Umgehungsverbot ist praktisch, um Konkurrenten auszuschließen. Wenn Sie für die Steuergeräte der Autos, die Sie herstellen, urheberrechtlichen Schutz geltend machen, können Sie jeden verklagen, der Schnittstellen dafür entwickelt. Das ist nicht nur schlecht für freie Werkstätten, sondern auch für Leute, die ihre Autos mit Chips ausrüsten wollen, um mehr Leistung herauszuholen. Unternehmen wie Lexmark beanspruchen urheberrechtlichen Schutz für Software in ihren Tonerkartuschen, die dem Drucker mitteilt, daß der Toner verbraucht ist, und haben einen Konkurrenten verklagt, der nachgefüllte Kartuschen mit zurückgesetztem Zähler vertrieb. Sogar Hersteller von Garagentorantrieben haben dieses Spiel entdeckt und nehmen urheberrechtlichen Schutz für die Programmierung ihrer Funkempfänger in Anspruch. Urheberrechtlich geschützte Autos, Tonerkartuschen und Garagentorantriebe – was kommt als nächstes? Vielleicht urheberrechtlich geschützte Glühlampenfassungen?
Auch im Zusammenhang mit legitimen – Entschuldigung, »traditionellen« – urheberrechtlich geschützten Werken wie zum Beispiel DVD-Filmen ist das Umgehungsverbot schädlich. Das Urheberrecht ist ein empfindliches Gleichgewicht, das den Urhebern und ihren Rechteverwertern einige Rechte gibt, aber auch manche Rechte der Öffentlichkeit vorbehält. Ein Urheber darf zum Beispiel niemanden daran hindern, seine Bücher in Blindenschrift zu übertragen. Insbesondere hat der Urheber nur sehr eingeschränkten Einfluß darauf, was man tun darf, wenn man seine Werke auf legalem Wege erworben hat. Wenn ich Ihr Buch, Ihr Gemälde oder Ihre DVD kaufe, gehört es mir. Es ist mein Besitz, nicht bloß mein »geistiges Eigentum« – eine merkwürdige Art Pseudo-Eigentum mit lauter Ausnahmen, Nutzungsrechten und Einschränkungen –, sondern echtes, faßbares Eigentum – das, was die Gerichte seit Jahrhunderten mit dem Eigentumsrecht regeln.
Aber das Umgehungsverbot erlaubt den Rechteinhabern, tolle neue Urheberrechte für sich zu erfinden – sozusagen private Gesetze ohne Kontrolle oder Abwägung zu schreiben –, die Ihnen die Rechte an Ihrem handfesten Eigentum zu ihrem eigenen Vorteil entziehen. DVDs mit Regionalcodierung sind ein Beispiel: Es gibt weder hier noch meines Wissens in irgendeinem anderen Land ein Urheberrecht, das dem Urheber erlaubt zu kontrollieren, wo Sie seine Werke genießen, nachdem Sie sie gekauft haben. Ich kann ein Buch kaufen, in meine Tasche stecken, überallhin mitnehmen – von Toronto bis Timbuktu – und lesen, egal wo ich mich gerade aufhalte. Ich kann sogar Bücher in Amerika kaufen und nach Großbritannien mitbringen, wo der Autor die Vertriebsrechte vielleicht an einen Verlag abgetreten hat, der sie für das Doppelte des amerikanischen Preises verkauft. Wenn ich es gelesen habe, kann ich es in Großbritannien verkaufen oder verschenken.
Die Schlüssel, mit denen DVDs gelesen werden können, werden von einer Organisation namens DVD-CCA verwaltet, die eine Reihe von Anforderungen an jeden stellt, der einen Schlüssel von ihnen erhält. Dazu gehört die Regionalcodierung: Wenn Sie in Frankreich eine DVD kaufen, ist diese als europäische DVD markiert. Wenn Sie diese DVD nach Amerika mitnehmen, wird Ihr DVD-Player diese Markierung mit seiner Liste erlaubter Regionen vergleichen und, falls es keine Übereinstimmung gibt, das Abspielen verweigern.
Denken Sie daran: Das Urheberrecht gibt dem Autor keine derartige Kontrolle. Als der Gesetzgeber das Urheberrecht schrieb und dem Urheber erlaubte, Anzeige, Aufführung, Vervielfältigung, Bearbeitung und so weiter einzuschränken, ließ er »Geographie« nicht aus Versehen aus.
Wenn Ihre französische DVD sich in Amerika nicht abspielen läßt, liegt das also nicht daran, daß das verboten wäre: Die Studios haben ein Geschäftsmodell erfunden und dann Gesetze durchgebracht, um es zu festigen. Die DVD ist Ihr Eigentum, der DVD-Player ebenfalls, aber wenn Sie den Regionalcode auf der DVD umgehen, geraten Sie mit dem Umgehungsverbot in Konflikt.
Genau das widerfuhr dem jungen Norweger Jon Johansen, der französische DVDs auf seinem norwegischen DVD-Player abspielen wollte. Er und seine Freunde schrieben zu diesem Zweck ein Programm, das die CSS-Verschlüsselung umgeht. Hier in Amerika ist er gesucht; in Norwegen versuchte die Filmbranche, ihn für die Manipulation eines Rechners zu verklagen. Als sein Verteidiger fragte, welchen Rechner er manipuliert habe, lautete die Antwort: »Seinen eigenen.«
Sein tatsächliches, greifbares Eigentum wurde durch ein seltsames fiktives geistiges Eigentum an seiner DVD eingeschränkt: DRM kann nur dann funktionieren, wenn Ihr Abspielgerät Eigentum desjenigen ist, dessen Aufnahmen Sie abspielen.
Das ist die schlechteste aller Ideen, auf denen DRM beruht: daß die Hersteller von Abspielgeräten festlegen dürfen, wessen Aufnahmen Sie abspielen, und daß die Hersteller von Aufnahmen festlegen dürfen, wie Abspielgeräte funktionieren.
Dieses Prinzip gab es bisher nie – genaugenommen war es immer genau umgekehrt. Denken Sie mal an all die Geräte, die man an eine parallele oder serielle Schnittstelle anschließen kann, obwohl die Erfinder dieser Anschlüsse niemals an solche Möglichkeiten gedacht hätten. Unsere starke und innovative Wirtschaft lebt davon, daß jeder Geräte herstellen kann, die sich mit beliebigen anderen Geräten verbinden lassen: Vom Flowbee-Haarschneider, den Sie an Ihren Staubsauger anschließen können, bis zur Kabelpeitsche für den Zigarettenanzünder in Ihrem Auto – Standardanschlüsse, für die jeder Geräte herstellen kann, lassen den Ideen von Erfindern freien Lauf.
Die Gerichte bestätigen das immer wieder. Früher war es verboten, Geräte, die nicht von AT&T vertrieben wurden, an den Telefonanschluß zu stecken. Vorgeblich diente diese Beschränkung der Sicherheit des Telefonnetzes, aber in Wirklichkeit ging es AT&T um das lukrative Geschäft mit den Mietgebühren für Telefone.
Als dieses Verbot aufgehoben wurde, entstand ein neuer Markt für Telefongeräte – neuartige sprechende Telefone, Anrufbeantworter, schnurlose Telefone –, Umsätze in Milliardenhöhe, die zuvor durch die geschlossene Schnittstelle unterbunden worden waren. AT&T bot ebenfalls Telefone zum Kauf an und profitierte dadurch selbst sehr von diesem neuen Markt.
DRM entspricht diesen geschlossenen Schnittstellen. Robert Scoble, ein Microsoft-Mitarbeiter, hat ein hervorragendes Weblog mit einem Artikel darüber, wie man seine Investitionen in digitale Musik am besten schützen kann. Sollte man Apple-iTunes-Musik oder Microsoft-DRM-Musik kaufen? Scoble argumentiert, daß Microsoft-Musik eine stabilere Investition sei, weil Microsoft mehr Lizenznehmer für sein proprietäres Format habe und die Auswahl an Abspielgeräten für gekaufte Musikdateien deswegen größer sei.
Was für eine absurde Vorstellung: Wir sollen die Musik-Kaufentscheidung danach richten, welcher Anbieter mehr Abspielgeräte für seine Aufnahmen erlaubt. Das ist, als würde man jemandem sagen, eine Betamax-Aufnahme statt einer für Edisons Kinetoscope zu kaufen – weil Thomas Edison seine Patente an fast niemanden lizenziert – und dabei zu ignorieren, daß die Welt sich schon längst für das offenere VHS-Format entschieden hat.
DVD ist ein Format, bei dem der Hersteller von Aufnahmen sich in die Herstellung von Abspielgeräten einmischt. Wieviele Innovationen gab es bei DVD-Geräten in den letzten Jahren? Sie sind billiger und kleiner geworden, aber wo sind bei der DVD die faszinierenden neuen Märkte, die die Videorekorder damals erschlossen? Ein Hersteller vertreibt die erste DVD-Jukebox der Welt (mit Festplatten), ein Gerät mit Platz für 100 Filme, und verlangt dafür 27000 Dollar. Die Komponenten dieses Geräts kosten ein paar tausend Dollar – die restlichen Kosten kommen vom Fehlen des Konkurrenzdrucks.
Aber was ist mit dem Künstler? Der hart arbeitende Filmregisseur, der Schriftsteller mit tintengeschwärzten Fingern, der Rockstar in Lederkluft, der mit dem Heroin wieder aufgehört hat? Wir armen Irren der kreativen Klasse werden hier für jede Argumentation benutzt: die RIAA und die MPAA zeigen uns und fragen, ob denn noch jemand an uns denkt; die Musiktauscher sagen »Ja, wir denken an die Künstler, aber die Medienindustrie interessiert uns nicht.«
Um zu verstehen, wie sich DRM auf die Künstler auswirkt, muß man wissen, wie Urheberrecht und Technik miteinandern zusammenhängen. Das Urheberrecht ist von vornherein technisch orientiert, da die damit zusammenhängenden Vorgänge (Kopieren, Übertragen und so weiter) technische Vorgänge sind.
Das automatische Klavier war das erste System, um Musik billig zu kopieren. Es wurde erfunden, als die beliebteste Form der Unterhaltung in Amerika darin bestand, in seinem Wohnzimmer einen talentierten Pianisten ein paar Melodien spielen zu lassen und dazu zu singen. Die Musikindustrie bestand hauptsächlich aus Notenverlagen.
Das automatische Klavier war ein digitales Aufnahme- und Wiedergabesystem. Notenrollenherausgeber kauften normale Noten und übertrugen sie in Form von Löchern auf lange Papierbänder, die sie dann in großen Stückzahlen verkauften. Dabei zahlten sie keinen Pfennig an die Verlage – sie waren digitale Musikpiraten.
Erwartungsgemäß waren die Komponisten und Musikverlage verärgert. John Philip Sousa trug dem Kongreß bezüglich des Grammophons vor:
Diese Sprechmaschinen werden die künstlerische Entwicklung der Musik in diesem Land ruinieren. Früher sangen an Sommerabenden vor jedem Haus junge Menschen neue und alte Lieder. Jetzt hört man Tag und Nacht diese Höllenmaschinen. Wir werden bald keine Stimmbänder mehr haben – sie werden durch die Evolution verschwinden, genauso wie der Schwanz in der Evolution vom Affen zum Menschen verschwand.
Die Verleger forderten den Kongreß auf, die Notenrollen zu verbieten und ein Gesetz zu erlassen, das ihnen ein Vetorecht für jedes neue Musikvervielfältigungssystem einräumen sollte. Glücklicherweise haben die Abgeordneten den Überblick über die Situation behalten und beschlossen, die wichtigste Form der Unterhaltung in Amerika nicht zu kriminalisieren.
Aber da blieb noch das Problem, die Künstler zu bezahlen. Die amerikanische Verfassung legt den Zweck des Urheberrechts fest: die nützlichen Künste und Wissenschaften zu fördern. Die Komponisten wollten verständlicherweise weniger komponieren, wenn sie kein Geld dafür bekämen, also brauchte der Kongreß eine Lösung: Jeder sollte für zwei Cent das Recht erwerben können, von einem Stück, das von einem Musikverlag veröffentlicht wurde, eine Notenrolle herzustellen. Die Verlage waren zufrieden, und niemand mußte teure Anwälte engagieren, um darüber zu streiten, ob das Entgelt zwei oder fünf Cent betragen sollte.
Diese vorgeschriebene Lizenz gibt es immer noch: Wenn Joe Cocker »With a Little Help from My Friends« singt, bezahlt er einen festen Betrag an die Beatles-Herausgeber und ist auf der sicheren Seite – selbst wenn Ringo darüber unzufrieden ist. Wenn Sie sich mal gefragt haben, wie Sid Vicious Paul Anka dazu gebracht hat, ihn eine eigene Version von »My Way« herausbringen zu lassen: Jetzt wissen Sie es.
Diese Lizenz ermöglichte es, daß viel mehr Geld verdient wurde, indem viel mehr Künstler viel mehr Musik veröffentlichten und damit viel mehr Zuhörer erreichten, als es andernfalls möglich gewesen wäre.
Diese Geschichte wiederholte sich seither alle paar Jahre. Der Hörfunk wurde durch eine freiwillige Pauschallizenz möglich – die Musikindustrie einigte sich auf einen festen Preis, zu dem sie den Sendern ihre Musik zur Verfügung stellte. Für das Kabelfernsehen wurde wieder das Eingreifen des Gesetzgebers notwendig: Die einzige Möglichkeit der Kabelnetzbetreiber, an Sendungen zu kommen, bestand darin, diese selbst zu empfangen und dann ins Kabel einzuspeisen; der Kongreß hielt es für sinnvoller, diese Praxis zu legalisieren, anstatt die Fernseher ihrer Wähler durcheinanderzubringen.
In manchen Fällen entschieden die Gerichte und der Kongreß, den Benutzern Vervielfältigungsrechte zu entziehen – zum Beispiel beim Videorekorder. Als Sony 1976 den Betamax-Videorekorder auf den Markt brachte, hatten die Studios schon beschlossen, auf welche Weise die Kunden ihre Filme im Wohnzimmer ansehen sollten: Sie hatten ihr Filmprogramm für ein System namens Discovision lizenziert, das 30 Zentimeter große, nicht selbst beschreibbare Platten abspielte – gewissermaßen ein Vorläufer der heutigen DRM-Systeme.
Die Urheberrechtsexperten gaben dem Videorekorder damals keine großen Chancen. Sony sagte, das Gerät würde eine angemessene Nutzung erlauben. Die bisherige Interpretation dieses Begriffs durch die Gerichte hatte sich nach vier Kriterien gerichtet: ob das Werk dadurch in etwas neues verwandelt wird (wie bei einer Collage), ob das Werk ganz oder teilweise genutzt wird, ob es künstlerisch ist oder hauptsächlich aus Fakten besteht, und ob es das Geschäftsmodell des Anbieters untergräbt.
Das Betamax-System fiel bei allen vier Kriterien durch: Wenn man einen Hollywood-Film aus dem Fernsehen aufzeichnete, war dies eine unveränderte Kopie eines vollständigen künstlerischen Werkes, die dem Discovision-Lizenzierungsmodell genau widersprach.
Jack Valenti, das Sprachrohr der Filmindustrie, erklärte 1982 dem amerikanischen Kongreß, der Videorekorder sei für die amerikanische Filmindustrie »das, was der Würger von Boston für eine Frau ist, die alleine zuhause ist.«
Aber 1984 urteilte der oberste Gerichtshof gegen Hollywood und setzte fest, daß ein Gerät, das in wesentlichem Maße legal nutzbar ist, legal ist. Anders ausgedrückt: »Wir kaufen Ihnen die Geschichte mit dem Würger von Boston nicht ab – wenn Ihr Geschäftsmodell die Einführung dieses universell nutzbaren Gerätes nicht überstehen kann, ist es Zeit, ein neues zu suchen oder pleite zu gehen.«
Hollywood fand ein neues Geschäftsmodell, genauso wie zuvor die Fernsehsender, die Unterhaltungskünstler und die Musikverlage, und sie verkauften mehr, konnten mehr Künstler bezahlen und erreichten ein größeres Publikum.
Eines hatten alle neuen Geschäftsmodelle in diesem Bereich gemeinsam: sie bezogen das Medium, mit dem sie arbeiteten, ein.
Das ist die grundlegende Eigenschaft jedes neuen Mediums: es ist sich selbst treu. Die Lutherbibel hatte keine der Eigenschaften, die die zuvor üblichen handgeschriebenen Bibeln wertvoll machte: sie war häßlich, sie war nicht auf Latein geschrieben, sie wurde nicht von jemandem vorgelesen, der den Laien bei der Interpretation helfen konnte, und sie stellte nicht jahrelange hingebungsvolle Arbeit eines Menschen dar, der sein Leben Gott gewidmet hatte. Was die Lutherbibel erfolgreich machte, war ihre schnelle Vervielfältigung und Verbreitung. Die erfolgreichsten Lebewesen auf der Erde sind die, die sich am schnellsten vermehren: Insekten, Bakterien, Würmer und Viren. Vermehrung ist die beste Überlebensstrategie.
Notenrollen klangen nicht so gut wie von einem guten Pianisten gespielte Musik, aber sie waren einfacher zu vervielfältigen. Das Radio hatte nicht die sozialen Elemente von Liveauftritten, aber viel mehr Leute konnten ein Empfangsgerät kaufen und richtig einstellen, als je in das größte Varietétheater gepaßt hätten. MP3-Dateien haben keine beigelegten Textheftchen und werden nicht von sachkundigen Verkäufern angeboten, die bei der Auswahl helfen können – ganz zu schweigen von fehlerhaft kopierten oder abgeschnittenen Liedern: Bei Napster habe ich einmal eine zwölf Sekunden lange Kopie von »Hey Jude« heruntergeladen. Dennoch schlägt MP3 die CD in vielerlei Hinsicht. Eine einmal gekaufte CD ist gewissermaßen wie eine schöne Stofftasche, die man im angesagten Modeladen bekommen hat: sie ist schön, und man kommt sich idiotisch vor, wenn man sie wegwirft – aber wieviele solche Dinge kann man sinnvollerweise besitzen? Ich kann zehntausend Lieder in meinem Laptop speichern, aber ein vergleichbarer Stapel CDs mit Textheftchen ist eine Verpflichtung und führt zu erheblichen Lagerkosten.
Die zwei wichtigsten Dinge, die man über Computer und das Internet wissen muß:
Jedes neue Medium, das auf Internet und Computern basiert, wird sich diese zwei Tatsachen zu eigen machen, statt sich darüber zu ärgern. Eine Zeitungspresse ist eine Maschine, die schmierig bedrucktes Zeitungspapier schnell und billig herstellt – wenn man damit hochwertige Kunstdrucke herstellen will, bekommt man nur Ausschuß. Wenn man damit Zeitungen herstellt, bekommt man die Grundlage für eine freie Gesellschaft.
Genauso verhält es sich mit dem Internet. Während der Glanzzeit von Napster kamen Vorstände von Plattenfirmen zu Konferenzen und erklärten jedem, daß Napster zum Scheitern verurteilt sei, weil niemand verlustbehaftet komprimierte MP3s ohne Textheftchen, abgeschnittene Dateien und falsch geschriebene Metadaten wolle.
Heute erzählen E-Book-Herausgeber jedem, die Hürde für dieses Medium sei die Bildschirmauflösung. Das ist Schwachsinn, genauso wie das ganze Gerede darüber, wie schön ein Buch im Bücherregal aussieht, wie gut es riecht und wie gut man es in die Badewanne mitnehmen kann. Diese Argumentation ist so einfallslos und falsch wie die Vorstellung, das Radio würde erfolgreich sein, sobald das Problem gelöst sei, den Zuhörern während der Pause Würstchen zu verkaufen, oder daß das Kino den eigentlichen Durchbruch dann haben würde, wenn es möglich wäre, die Darsteller nach dem Film für eine Zugabe auf die Bühne zu befördern, oder auch daß die Reformation genau dann funktionieren würde, wenn es Lutherbibeln mit nachgedruckter Buchmalerei gäbe und Mietpriester, die einem das persönliche Wort Gottes vorlesen.
Neue Medien sind nicht erfolgreich, weil sie genauso wie die alten Medien funktioneren, sondern weil sie besser sind. Sie sind erfolgreich, weil ihre Schwachstellen da liegen, wo die alten Medien Vorteile haben, und dort Vorteile haben, wo die alten Medien nicht mithalten können. Die Vorteile von Büchern sind das weiße Papier, das scharfe Druckbild, daß man sie ohne zusätzliche Geräte lesen kann, und ihr geringer Preis. E-Books können dafür ohne zusätzliche Kosten überall auf der Welt gleichzeitig sein und sind so flexibel, daß man Ausschnitte davon in eine Instant-Messenger-Verbindung kopieren oder sie in ein Rundschreiben mit einer Seite täglich verwandeln kann.
Die einzige wirklich erfolgreiche Form der elektronischen Veröffentlichung von Büchern – mit Millionen kopierter und gelesener Exemplare – ist die Bücher-Warez-Szene, in der eingescannte Bücher illegal verteilt werden. Die einzigen legalen Herausgeber, die überhaupt irgendwelchen Erfolg im elektronischen Verlagswesen haben, sind die, deren Bücher ohne technische Fesseln im Internet kursieren – Verlage wie Baen Books und mein eigener (Tor), die ihr Programm ganz oder teilweise in offenen Formaten zur Verfügung stellen.
Die geräteabhängigen E-Books mit DRM-Kopierschutz scheitern. Ihre Verkaufszahlen bewegen sich in zwei- bis dreistelligen Bereichen. Science-Fiction ist ein Nischengeschäft, aber wenn man nur ein paar Dutzend Exemplare verkauft, ist das nicht einmal mehr ein Geschäft, sondern nur noch ein Hobby.
Jeder von Ihnen liest seit Jahren beruflich jeden Tag immer mehr Text von immer mehr Bildschirmen. Unter dem Strich ändert sich nichts: Gleichzeitig lesen Sie immer weniger von Papier. Der altmodische Chef, der seine E-Mails ausdruckt und seiner Sekretärin die Antworten diktiert, ist in der heutigen Informationswelt gescheitert.
In diesem Moment lesen Menschen in jeder freien Stunde Wörter von Bildschirmen ab. Ihre Kinder starren ihre Gameboys an, bis ihnen die Augen ausfallen. Jugendliche drücken mit ihrem hypertrophen SMS-Daumen statt mit dem Zeigefinger auf Klingelknöpfe.
Papierbücher sind die Verpackung, in der wir Bücher heute kaufen. Billige Druckereien wie das Internet Bookmobile, die für einen Dollar innerhalb von zehn Minuten ein Buch in randabfallendem Vierfarbdruck mit Hochglanzumschlag, bedrucktem Rücken und perfekter Bindung herstellen können, sind die Zukunft der Papierbücher: Wenn Sie eines brauchen, stellen Sie eines oder einen Teil davon her und werfen es nach der Lektüre wieder weg. Ich bin vergangenen Montag in Seattle gelandet und habe ein paar CDs von meiner Musiksammlung gebrannt, um sie im Mietwagen zu hören. Wenn ich das Auto zurückgebe, werde ich sie dalassen: Ich brauche sie nicht mehr.
Immer wenn eine neue Technik mit dem Urheberrecht kollidiert ist, haben wir das Urheberrecht angepaßt. Das Urheberrecht ist keine ethische Notwendigkeit, sondern auf den Zweck gerichtet. Es ist nicht moralisch vorgeschrieben, einem Komponisten zwei Cent für die Rechte an einer Notenrolle zu bezahlen, und es ist nicht unmoralisch, Hollywood für die Aufzeichnung eines Filmes aus dem Fernsehen nichts zu geben. Das Urheberrecht ist lediglich der beste Kompromiß, das man gefunden hat, um einerseits das Besitzrecht der Verbraucher an ihren Aufnahmen zu respektieren und andererseits den Urhebern genug zu geben, um weiterhin Filme, Musik, Bücher und Bilder herzustellen.
Wenn neue Technik mit dem Urheberrecht kollidiert, tut sie das, weil sie Schöpfung, Vervielfältigung und Verbreitung vereinfacht und verbilligt. Die auf das bestehende Urheberrecht ausgelegten Geschäftsmodelle beruhen auf der Ineffizienz des bisherigen Herstellungs-, Vervielfältigungs- und Vertriebssystems, und sie werden durch die neue Technik geschwächt werden. Aber die neue Technik führt immer zu mehr künstlerischer Vielfalt mit größerer Reichweite – das ist ihr Zweck.
Die Technik vergrößert den Kuchen, von dem die Künstler naschen können – das wurde bei jedem Entwicklungsschritt des Urheberrechts stillschweigend anerkannt. Wenn Urheberrecht und Technik zusammenstoßen, ändert sich das Urheberrecht.
Das heißt: Das heutige Urheberrecht – das, was durch DRM gestützt werden soll – stand nicht auf den Gesetzestafeln, die Moses vom Berg Gottes heruntertrug. Es wurde während der letzten paar Jahrhunderte entwickelt, um der jeweils zuvor erfundenen Technik entgegenzukommen. Die Erfindungen jetzt aufzugeben, beraubt die Künstler der nächsten Generationen der neuen Märkte und Reichweiten, die ihnen Computer und Internet geben könnten.
Der Videorekorder, den Sony auf den Markt brachte, konnte Hollywood-Filme abspielen, obwohl Hollywood das nicht so gut fand. Die Märkte, die der Videorekorder mit sich brachte – Videotheken, Privatkopien, Videokameras und sogar Konfirmationsfilme – brachten Sony und seinem Gefolge Millionen.
Das war ein gutes Geschäft – Sony verlor zwar den Kampf zwischen den Formaten Betamax und VHS, aber die weltweite Verbreitung der Videorekorder glich das ohne weiteres aus.
Aber dann übernahm Sony eine kleine Unterhaltungsfirma, die es gründlich vermasselte. Als MP3 populär wurde und Sonys Walkman-Kunden nach kleinen tragbaren MP3-Playern riefen, überließ Sony seiner Musiksparte die Schau: Statt einen leistungsfähigen MP3-Walkman zu entwickeln, brachte Sony sein »Music Clips«-System auf den Markt – Geräte mit geringer Speicherkapazität, die idiotische DRM-Formate wie Real und OpenMG. Sony gab gutes Geld aus, um tolle »Funktionen« für diese Geräte zu entwickeln, die nur einem Zweck dienen: die Kunden daran zu hindern, ihre Musik frei zwischen ihren Geräten zu übertragen. Die Kunden hielten sich entsprechend zurück.
Heute ist Sony im Hinblick auf die Walkman-Branche tot. Die Marktführer sind glanzlose singapurische Marken wie Creative Labs – die Art von Unternehmen, die Sony wie Käfer zerquetschte, bevor es durch seine eigene Unterhaltungssparte aus diesem Markt herausmanövriert wurde – und Computerhersteller wie Apple.
Das ist passiert, weil Sony ein Produkt auf den Markt gebracht hatte, für das es keinen solchen gab. Kein Sony-Kunde ist jemals morgens mit dem Gedanken aufgewacht: »Hoffentlich investiert Sony bald teure Entwicklungsarbeit, damit ich meine Musik nur noch mit Einschränkungen hören kann.« Da der Markt alternative Angebote bereithielt, wandten die Kunden sich fröhlich von Sony ab.
Dasselbe passierte einigen meiner Bekannten, die ihre CDs in WMA abspeicherten. Sie haben ihnen Software verkauft, die kleinere und besser klingende Dateien erzeugt als MP3, aber sie gleichzeitig so eingeschränkt, daß die damit gespeicherten Lieder nur noch auf dem jeweiligen Rechner abgespielt werden können. Als sie ihre Musik auf eine andere Festplatte sicherten und ihr Betriebssystem neu installierten (was in der heutigen Zeit der Spyware, Viren und Würmer noch üblicher ist als früher), stellten sie fest, daß sie ihre zurückkopierte Musik nicht mehr abspielen konnten. Das Programm betrachtete die neue Installation als einen anderen Rechner und sperrte sie von ihrer eigenen Musiksammlung aus.
Der Markt hat keinen Bedarf für diese »Funktion«. Keiner Ihrer Kunden will, daß Sie Ihre Software mit viel Aufwand so verändern, daß der Umgang mit Sicherungskopien erschwert wird. Und Ihre Kunden werden nie weniger nachsehend sein als in dem Moment, in dem sie die Folgen eines katastophalen technischen Fehlers bewältigen.
Ich spreche aus Erfahrung. Weil ich alle zehn Monate ein neues PowerBook kaufe und weil ich das neue Modell immer am Tag seiner Ankündigung bestelle, bekomme ich von Apple oft mangelhafte Geräte. Das bedeutet auch, daß ich Apples Grenze von drei iTunes-autorisierten Rechner ziemlich schnell erreichte und feststellte, daß ich die für mehrere hundert Dollar gekauften iTunes-Lieder nicht mehr abspielen konnte, weil einer meiner autorisierten Rechner ein defektes Exemplar war, das Apple inzwischen in seine Einzelteile zerlegt hatte, der zweite in Reparatur bei Apple und der dritte der Rechner meiner Mutter, 3000 Meilen entfernt in Toronto.
Wenn ich kein so guter Apple-Kunde gewesen wäre, hätte ich kein Problem gehabt. Wenn ich nicht so begeistert für Apple-Produkte geworben und meiner Mutter gezeigt hätte, wie der iTunes Music Store funktioniert, hätte ich kein Problem gehabt. Wenn ich nicht soviel iTunes-Musik gekauft hätte, daß es zu aufwendig geworden wäre, sie auf CDs zu brennen, wieder einzulesen und alle Metadaten wieder einzugeben, hätte ich kein Problem gehabt.
Aber zur Belohnung für mein Vertrauen, meine Bekehrungstätigkeit und meine unkontrollierte Verschwendung behandelte Apple mich wie einen Gauner und sperrte mich aus meiner eigenen Musiksammlung aus, und zwar gerade als mein PowerBook in der Werkstatt war – also in einem Augenblick, in dem ich kaum geneigt war, Nachsicht für Apple zu zeigen.
Ich bin in dieser Hinsicht ein Grenzfall, aber einer an der Grenze des Fortschritts. Wenn Apple mit seinen Geschäftsplänen weiterhin erfolgreich ist, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch der durchschnittliche Kunde genügend neue Rechner und Musik gekauft hat, um da zu landen, wo ich jetzt stehe.
Wissen Sie, was ich sofort kaufen würde? Ein Gerät, mit dem ich jede beliebige Aufnahme abspielen kann. Im Moment kommt ein Open-Source-Programm namens VLC am nächsten an diese Vorstellung heran, aber es ist unpraktisch und fehlerbehaftet und war nicht auf meinem Rechner vorinstalliert.
Sony entwickelte Betamax nicht so, daß es nur die Filme abspielte, die Hollywood freigab – Hollywood hatte darum gebeten und eine Kennung vorgeschlagen, die mit den Filmen ausgestrahlt werden sollte, um die Aufnahmefunktion der Videorekorder zu deaktivieren. Sony kümmerte sich nicht darum und stellte das her, was die Kunden mutmaßlich wollten.
Ich bin Microsoft-Kunde. Wie Millionen andere Microsoft-Kunden will ich ein Programm, das alles abspielt, was ich ihm vorwerfe – und ich glaube, daß Sie genau das Unternehmen sind, das mir so etwas bieten kann.
Natürlich würde das dem jetzigen Urheberrecht widersprechen, aber Microsoft stellt jetzt schon seit Jahrzehnten Software her, die Raubkopien ermöglicht und sich so auf das Urheberrecht auswirkt. Outlook, Exchange und MSN unterstützen umfassende digitale Urheberrechtsverstöße.
Und noch mehr als das: IIS und Ihre Proxy-Software stellen Kopien her und verbreiten sie ohne die Zustimmung der Autoren – was heute nur deswegen legal ist, weil Unternehmen wie Microsoft vorausgingen, es einfach taten und dadurch die Gesetzgeber herausforderten.
Microsoft hat seine Kunden und den Fortschritt verteidigt und so klar gewonnen, daß die meisten den Streit nie bemerkten.
Tun Sie es wieder! Das hier ist ein Unternehmen, das den härtesten Kartellaufsehern ins Auge sieht und lacht. Verglichen mit Kartellaufsehern sind Urheberrechts-Gesetzgeber Weicheier, mit denen Sie es mit links aufnehmen können.
Siva Vaidhyanathan erörtert in seinem Buch »The Anarchist in the Library«, warum die Filmstudios blind gegenüber den Wünschen ihrer Kunden sind: weil Leute wie Sie und ich ihnen in den 80er und 90er Jahren schlechte Science-Fiction-Geschichten über absurde DRM-Technik erzählt haben, mit denen sie jedes Mal, wenn jemand einen Film ansieht, einen kleinen Betrag erheben können würden. Vorspulen? Kostet einen Cent extra. Pause? Zwei Cent pro Stunde. Stummschalten? 25 Cent.
Als Mako Analysis im vergangenen Monat einen Bericht veröffentlichte, der den Telefongesellschaften empfiehlt, Symbian-Geräte nicht mehr zu unterstützen, schrieben sie nur die neueste Folge dieser Geschichte. Mako sagt, daß Geräte wie mein P900, das MP3-Dateien als Klingelton abspielen kann, schlecht für die Mobiltelefonwirtschaft ist, weil es die dreisten Klingeltonanbieter aus dem Markt drängt. Das heißt: Nur weil Sie eine CD gekauft haben, heißt das noch lange nicht, daß Sie erwarten dürfen, sie auch auf einem MP3-Player hören zu können, und nur weil Sie sie auf Ihrem MP3-Player abspielen können, dürfen Sie nicht erwarten, es als Klingelton benutzen zu können. Ich frage mich, was sie von Radioweckern halten, die eine CD abspielen können, um Sie morgens zu wecken – wird dadurch womöglich der aufkeimende Wecktonmarkt abgewürgt?
Die Kunden der Telefongesellschaften wollen Symbian-Geräte, und zumindest bis jetzt ist den Telefongesellschaften klar, daß jemand anders diese Geräte verkaufen wird, wenn sie es nicht selbst tun.
Der Markt für wirklich leistungsfähige Geräte ist riesig. Ein Unternehmen verkauft eine DVD-Jukebox für 27000 Dollar – machen Sie sich an diesen Kuchen heran! Steve Jobs wird es nicht tun: er ist auf der D Conference und erklärt den Studiodirektoren, daß sie ihre Filme nicht in hoher Auflösung veröffentlichen sollten, bevor feststeht, daß niemand einen Brenner für solche DVDs herstellt, den man in einen PC einbauen kann.
Vielleicht werden sie ihm diesen Schwachsinn nicht abkaufen, aber sie interessieren sich auch nicht besonders für das, was Sie ihnen anbieten. Bei den Treffen der Broadcast Protection Discussion Group, in denen das Broadcast Flag ausgearbeitet wurde, lautete der Standpunkt der Studios: »Wir werden jedes beliebige DRM nehmen – nur nicht von Microsoft oder Philips.« Als ich mich beim DVB-Forum mit britischen Fernseh-Paragraphenreitern über die zukünftige europäische Broadcast-Flag-Version unterhielt, erklärten sie mir: »In Europa ist es anders – die Leute befürchten vor allem, daß ein amerikanischer Konzern wie Microsoft seine Krallen ins europäische Fernsehen bekommt.«
Die amerikanischen Filmstudios wollten den japanischen Elektronikkonzernen nichts vom Film-Kuchen abgeben, deswegen kämpften sie gegen den Videorekorder. Heute sind sich alle Filmemacher einig, daß sie ein Unternehmen wie Sie nicht zwischen sich und ihren Kunden haben wollen.
Sony holte keine Erlaubnis aus Hollywood ein. Sie sollten es auch nicht tun. Schreiben Sie das Programm, das alle Aufnahmen abspielen kann – sonst wird es jemand anders tun.